LOVING HER: Colorblind and super kind

Eine Kurzrezension aus queeren Perspektiven
Daniele Daude | 4. August 2021  | Kommentar

Für den heutigen Beitrag haben wir eine Gastautorin zu La Tribune Noire eingeladen. Die Dozentin für Musik- und Theaterwissenschaften Daniele G. Daude (Dr. Dr. phil.) stellt im Folgenden ein Review zu der ZDF-Serie „Loving Her“ vor.

Freundschaft ODER Liebe

„Loving her“ ist die Adaption der niederländischen Serie „Anne+“¹, die mittlerweile die zweite Staffel herausgebracht hat und den ersten Spielfilm für 2022 plant. Die Geschichte bestehend aus sechs Episoden und folgt dem Originalszenario relativ getreu. Die Protagonistin Hanna, eine Literaturstudentin, „die gerne feiert“, erinnert sich an fünf romantische Beziehungen, u.a. mit ihrer „ersten großen Liebe“ Franzi, mit der sie zusammen in die Großstadt gezogen ist, bis zum Auszug bzw. Umzug zu ihren Eltern durch Arbeitslosigkeit und einer WG-Auflösung nach einem Jahr Pandemie. Während die monogamen romantischen Beziehungen zu Lara, Josephine und Sara alle auf unterschiedliche Art und Weise scheitern, wächst die Beziehung zu Hannas Mitbewohner*innen² Tobi und Holly zu einer zuversichtlichen, nachhaltigen Freundschaft. Romantische und freundschaftliche Beziehungen werden hier glatt voneinander getrennt und verfolgen entgegengesetzte Richtungen. Doch einzig DIE monogame romantische Liebe bleibt das haupt- und erstrebenswerte Thema der Serie. Besser noch, die „erste große Liebe“ samt einem Hinterher-Laufen – auch wenn das „romantic comedy“-Zitat ironisch intendiert sein mag, steht im Mittelpunkt. Die Handlungen, Dialoge und Erzählweisen sind unterhaltsam, selbstironisch und empathisch angelegt. Hanna macht Fehler, hat Liebeskummer, ist verpeilt, lustig, kurz: sie ist Sympathieträgerin und Identifikationsfigur. Können wir also von einer erfolgreichen Darstellung von sexueller Orientierung, Race und Klasse sprechen?

Hanna, die Protagonist*in ist dramaturgisch in der sexuellen Orientierung und Schicht festgelegt: sie kommt aus einem bildungsbürgerlichen Haushalt, studiert Literatur und wird dabei von ihren Eltern unterstützt. Sie muss nicht arbeiten, um ihr Studium zu finanzieren und die Wohnungssuche in einem überteuerten und knapp gewordenen Berliner Wohnungsmarkt ist auch kein Thema. Die existentiellen Bedürfnisse sind abgedeckt, sie kann chillen und Party machen. In der deutschen Adaption der Serie „Anne+“ ist die Protagonistin mit der Deutschen vielversprechende Schauspielerin Banafshe Hourmazdi besetzt, was nicht bedeutet, dass die Figur of Color angelegt ist. Geschrieben wurde das Drehbuch von Marlene Melchior und Leonie Krippendorff, zwei weiße Cis-Frauen, was wiederum einige Fragen mit sich bringt: wie werden hier BIPoC³ porträtiert? Was wird als erstrebenswerte Beziehung dargestellt, was nicht? Welche Botschaften werden vermittelt? Kurz: dient die Narration der Bestätigung oder der Unterwanderung hegemonialer⁴ Machtstrukturen?

 

Die Schwarzen Nebenfiguren

Die Hauptfigur trifft genau zweimal auf Schwarze Nebenfiguren. Die erste Interaktion ereignet sich gleich in der ersten Folge: in einem Moment, in dem die Protagonistin auf eine Party bleiben möchte, während ihre Freundin müde und ein wenig enttäuscht allein nach Hause geht, trifft Hanna eine namenlose tanzende Schwarze Frau, mit der sie genau einen Satz tauscht. Hier der ganzen Dialog:

Hanna: „Ich finde Dich voll heiß, aber ich habe eine Freundin.“

Namenlose tanzende Schwarze Frau, die auch nie wieder vorkommt: „Na und?“

Hanna: „Ich gehe dann mal.“

Ende des Dialogs

In einer Serie, die verschiedene Liebes- und Beziehungsformen, auch welche außerhalb des normativen amourös-romantischen, darstellen würde, würde dieser Dialog nicht weiter auffallen. Doch „Loving her“ setzt monogame romantische Liebe als erstrebenswerte Norm voraus. So wird in wenigen Worten die ganze koloniale Hyper-Sexualisierung und vermeintliche Amoralität Schwarzer Frauen reproduziert. Spätestens hier sollte die Frage nach den ausschließlich weißen Cis-Drehbuchautor*innen bzw. dem fehlenden BIPoC Schreiber*innen in dieser Produktion gestellt werden.

Der zweiten Interaktion mit einer Schwarzen Frau, Anouk, wird zwar eine Episode gewidmet, verläuft jedoch nicht weniger irritierend. Die beiden Figuren lernen sich bei der Einweihungsparty von Hanna kennen. Anouk sucht den Kontakt zu Hanna – zumindest in ihrer Erinnerung – indem sie sich ein, zwei, drei, vier, fünf Mal penetrant nach ihr umschaut. Hanna ist wiederum „fasziniert“ von der charismatischen, gutaussehenden Frau, die auch noch wunderbar singen kann. Hanna macht sich ein Bild von Anouk, was vielmehr mit ihrer Fantasie als mit aufrichtigem Interesse an der Person zu tun hat, was beim „Eurovision“-Dialog klar wird. Anouk „steht“ total auf den „Eurovision Contest“ was Hanna irritiert:

Hanna „krass hätte ich nicht von Dir gedacht“

Anouk „was?“

Hanna „Dass Du so auf Eurovision steht“

Anouk „Hä? Nenne mir noch eine Sache in Europa, wo sich alle einigen können?“  

Hannas Erwartungen und Projektionen werden spätestens hier im Moment des „Nicht-Entsprechends“ sichtbar. Die beiden reden sichtlich aneinander vorbei. Hanna merkt nicht einmal, dass sie dabei rassistische Klischees auf Anouk projiziert. Ihre „Faszination“ ist durch Stereotypen durchformiert, die keinen Platz für Kennenlernen von Person zu Person zulassen. Anouk hat kein amouröses Interesse an Hanna, was nicht bedeutet, dass sie gar kein Interesse hat. In einer Narration, die viele Formen von Beziehungen abbilden würden, gäbe es auch Platz für Personen wie Anouk, die keinen Alkohol trinken, ein gestörtes Verhältnis zum Essen haben und das Interesse an einer Person nicht gleich mit sexueller Attraktion gleichsetzen. Doch in einer eingeengten sexualisierten und romantisierten Form der Liebe, wo es entweder um Verliebtsein/Liebe oder Freundschaft gehen muss, ist diese Figur sehr ambivalent. In dieser Darstellung wird Anouks amouröses Desinteresse zur „unerwiderte Liebe“ erklärt und wenig nachvollziehbar dargestellt. Die Bizarrerie der Figur Anouk wird noch weiter gesteigert, indem sie kein Alkohol trinkt. Denn außer ehemaligen Alkoholiker*innen, praktizierenden Muslima und Zeugen Jehovas, gibt es keinen triftigen Grund, keinen Alkohol zu trinken. Oder nicht?

 

Color-Blindness versus Color-Consciousness

Im Vorweg: ein Hoch auf die Hauptdarstellerin Banafshe Hourmazdi in der Rolle von Hanna. Die Schauspielerin, spätestens seit „Futur 3“ bekannt, gehört sicherlich zu den hoffnungsvollen Deutschen Schauspieler*innen der neuen Generation. Hourmazdi bietet eine breite Palette an Emotionen und spielt die Selbstironie meisterhaft. So die Performance. Mit Hourmazdi als „Hanna“ haben sich Autor*innen und Produzent*innen für ein „Colorblind Casting“⁵ entschieden. Da eine Geschichte dieser Praxis in den darstellenden Künsten den Rahmen des hiesigen Textes sprengen würde, möchte ich auf diese vereinfachte Definition aus dem Panel “Color-Blind vs. Color-Conscious Casting in Shakespeare” mit Newton Buchanan, Bi Jean Ngo, Tai Verley, and J Hernandez hinweisen (2020):

„Color-blind casting (or non-traditional casting) is the practice of casting without considering the actor’s ethnicity, skin color, body shape, sex, and/or gender. Color-conscious casting, then, is the opposite of color-blind casting: taking into consideration the actor’s skin color, body shape, and other characteristics.”

Eine colorblinde Praxis ist z.B. die Besetzung von Hermione, Arielle, Hamlet, Lupin, Manon, Lucia di Lammermoor, Julius Caesare oder ein Jedi durch Schwarze Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Opernsänger*innen ohne, dass dies eine Rolle in der Geschichte, der Inszenierung oder der Aufführung spielt.Die Rollen sind genau die gleichen. Da weiße Autor*innen und Produzent*innen nicht wissen, wie sie und ihr weißes Publikum sich auf einmal mit nicht-weißen Figuren identifizieren sollen, werden die BIPoC-Figuren geglättet: Namen, Sprache, Schicht, Humor, Prioritäten, Lebensstil etc., alles soll an die weiße bildungsbürgerliche Norm angepasst werden. Hanna hat kein Problem mit alltäglichem Rassismus, Prekarität oder Zugänglichkeit zu Informationen, Transport oder Wohnungen. Die einzige Diskriminierung, die sie erlebt ist, sich lesbophoben Fragen von einem betrunkenen Hetero Cis-Mann in einer Bar anhören zu müssen.

„Wo ist denn das Problem? Ihr wollt doch Diversität“ protestieren schon die weißen Diversitäts- Soldat*innen. Nun: Diskriminierungen zu ignorieren, hat noch nie dazu beigetragen, dass diese verschwinden. Colorblindness ist keine Garantie gegen die Reproduktion rassistischer Stereotypen, wie wir bereits mit den zwei Schwarzen Figuren gesehen haben. Wie auch immer, die Intention ist klar: „Schau, Hautfarbe ist NICHT das Thema; es ist besser Franzi, die weiße Freundin, die bei ihrem Coming-out Stress hat, da ihre Eltern katholisch sind! Lustig wa?“.  Wie würde also ein Color Conscious Casting aussehen, das Race nicht zum Hauptthema macht, ohne die Identität der Schauspieler*innen zu ignorieren?

 

„Die Medizin ist voller Männer, die keine Ahnung von der Periode haben“

 

Die tollen Leistungen der SchauspielerInnen Banafshe Hourmazdi (Hanna), Lary (Anouk) und Soma Pysall (Sarah) verhindern leider nicht, dass die BIPoC-Figuren in „Loving Her“ weiterhin klischeebehaftet sind. „Ernsthafte“ Beziehungen die wichtig, prägend und langfristig sind, sind hier nur mit weißen Figuren möglich. Ob die feiernde Lara (Emma Drogunoza), die alte verliebte Chefin Josephin (Karin Hanczwewski) und selbstverständlich „die erste große Liebe“ Franzi (Lena Klenke), sie werden als „Die“ erstrebenswerten Beziehungen konstruiert. Die „Sarah“- Folge ist die einzige, in der zwei PoC die Hauptrollen spielen. Beide Figuren sind sehr unterschiedlich angelegt: Sarah ist beruflich erfolgreich – im Sinne von vielen zweiten Generation.Sie ist nachdenklich, organisiert oder klug. Hanna ist verstreut, extrovertiert und arbeitet gerne unter Zeitdruck. Beide haben eine innige Beziehung zueinander bevor das leidige Thema des „Coming Outs-in-der-Öffentlichkeit-out-und-laut-sein“ durch Sarah eingeführt wird.

„Loving Her“ spiegelt weiße, lesbische, bildungsbürgerlich, cis-Realität wider. Die Serie ist weder revolutionär noch subversiv, geschweige denn queer, sondern erweitert eine binäre romantische Norm nun auch auf weiße bürgerliche Cis-Lesben. Ganz im Sinne von Princess Charming. Solange keine queere BIPoC-Personen von Anfang an als Autor*innen, Produzent*innen, Berater*innen etc. mit involviert sind, wird auch keine Veränderung stattfinden. Eine grundlegenden Änderung der Besetzungspolitik, vor allem an den hohen Posten und Entscheidungsträger*innen, ist im Jahre 2021 längst überfällig.

 

Daniele G. Daude (Dr. Dr. phil.) ist Dozentin für Musik- und Theaterwissenschaften. Sie promovierte 2011 im Fach Theaterwissenschaft zum Thema Aufführungsanalyse an der Freien Universität Berlin und 2013 im Fach Musikwissenschaft zum Thema Opernanalyse an der Université Paris 8. Seit 2008 unterrichtet Daniele G. Daude an Deutschen und Französischen Hochschulen (u.a. Humboldt Universität, Universität der Künste, Campus Caribéen des Arts, Internat de la Réussite, Alice-Salomon-Hochschule, Freie Universität). 2013-2015 leitete sie die Abteilung Theater an der Kunsthochschule Campus Caribéen des Arts (Martinique) und arbeitet seit 2016 als Dramaturgin für Musik und Theater. Neben der akademischen Laufbahn schloss Daniele G. Daude das Musikstudium am Conservatoire National (Region La Courneuve) mit Auszeichnung (2000-2001) ab und gründete die Musikprojekte „Com Chor Berlin“ (2013) und „The String Archestra“ (2016).

http://danielegdaude.com/

https://www.com-chor.de/

https://www.thestringarchestra.com/

 

[1] https://anneplus.nl/episodes/https://www.youtube.com/watch?v=foNTbBXoaY8

[2] Die Serie ist vollkommen binär angelegt

[3] BIPoC steht für “Black” “Indigene” und “People of Color”

[4] U.a. patriarchalen, rassistischen, klassistischen,

[5] Dazu: https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/ColorblindCasting

[6] In: https://delshakes.org/2020/11/two-perspectives-on-color-blind-vs-color-conscious-casting-in-shakespeare/

[7] Diese Praxis ist in der Oper, Musiktheater, Musicals mittlerweile gängiger geworden. Hingegen sind die Besetzung von Hauptrollen durch BIPoC in den deutschen Film, Fernseh- sowie Sprech- und Tanztheater immer noch die Ausnahme. Z.B. Macbeth gespielt von Olivia Dowd und Lady Macbeth von Isabel Adomakoh (2018) https://www.theguardian.com/stage/2018/nov/27/macbeth-review-garrick-theatre-london-national-youth-theatre Amaka Umeh spielt Hamlet (2020) https://www.cbc.ca/arts/watch-amaka-umeh-the-first-black-woman-to-play-hamlet-at-stratford-perform-its-most-iconic-scene-1.5697719

[8] Arzt – Advocate – Ingenieur

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